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Halluzinationen oder doch Augenprobleme? Fehldiagnosen in Pflege- und Altersheimen

Blog-Eintrag -

Halluzinationen oder doch Augenprobleme? Fehldiagnosen in Pflege- und Altersheimen

Demenz, psychisches Leiden oder doch Probleme mit den Augen? Unterschiedliche Krankheiten, die oft mit ähnlichen Symptomen einhergehen: Wenn es um Halluzinationen oder Sehstörungen geht, dann spätestens sollte auch der Augenarzt noch einen Blick darauf werfen.

«Personen beschreiben mir, sie sehen Schlangen am Boden oder einen Baum im Gang, eine Pfütze, eine Baustelle oder ein Loch im Boden, dass es gar nicht gibt. Manche sehen auch Punkte, Strukturen oder geometrische Zeichen», erzählt Stephan Hüsler, Geschäftsleiter von Retina Suisse. Er leidet selbst an einer Netzhautdegeneration und ist mittlerweile fast vollständig erblindet. Heute steht er anderen Erkrankten beratend zur Seite.

«Das ist das Alter …»

… ist eine Äusserung, die man im Alltag gerne scherzhaft verwendet, wenn man beim Betreten eines Raumes schon wieder vergessen hat, was man dort eigentlich tun wollte, die Rufe der Nachbarin erst nach dem dritten Mal hört oder den Lesestoff immer weiter weghalten muss, um noch scharf zu sehen. Auch die Augen werden, von dem gesellschaftlich gerne kritisch beäugten Alterungsprozess unseres Körpers, nicht verschont. Doch genau dieser Tatsache wird bei Diagnosen in Alters- und Pflegeheimen oft leider nicht genug Beachtung geschenkt.

«Wenn Frau Müller aus Zimmer 423 mit einer schmutzigen Bluse zum Essen kommt, vielleicht in die falsche Richtung läuft und ihren Tisch nicht mehr findet, beim Essen kleckert oder ein Glas umstösst, Kleider trägt, die nicht zusammenpassen, Personen nicht erkennt, häufiger Dinge vergisst, keine Bücher mehr liest oder unaufmerksam beim Fernsehen ist, dann wird irgendwann ein Demenztest gemacht», erklärt Hüsler. «Das Problem dabei ist, dass diese Demenztests für Sehende ausgelegt sind.»


Eine weit verbreitete Aufgabe bei diesen Demenztests ist zum Beispiel der Uhrentest. Der Patient wird aufgefordert, eine Uhr mit Stundenziffern zu zeichnen und darin verschiedene Uhrzeiten einzuzeichnen. «Das ist etwas, was ich aber nicht machen kann, wenn ich nicht mehr richtig sehe», weiss Hüsler aus eigener Erfahrung. Ausgehend von den Testergebnissen werden dann häufig falsche Diagnosen gestellt.

Im Auge des Betrachters

Wie Studien zeigten, sind Sehstörungen bei Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen häufig auf simple Ursachen zurückzuführen. Eine unbemerkte Fehlsichtigkeit, falsch eingestellte oder manchmal sogar einfach nur stark verschmutzte Brillengläser richten schon einiges an. Eine andere Ursache kann auch die Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) sein.

Bei der Makula handelt es sich um den Bereich auf der Netzhaut, der für das zentrale, scharfe Sehen zuständig ist – auch als gelber Fleck bekannt. Durch Ablagerungen von Stoffwechselprodukten lässt die Fähigkeit scharf zu sehen mit zunehmendem Alter oft nach. Die Fähigkeit, sich im Raum zu orientieren, bleibt jedoch bestehen. Die AMD ist in der westlichen Welt die häufigste Augenerkrankung bei Menschen über 50 Jahren. «Viele Leute mit AMD beschreiben mir ähnliche Symptome: sie sehen Dinge, die nicht da sind, woraufhin die Pfleger dann meist von einer psychischen Krankheit ausgehen», so Hüsler. Denn eben auch psychische Leiden, wie schwere Depressionen oder Schizophrenie, bringen Sehprobleme und Halluzinationen mit sich. Meist sind es Trugbilder, Lichteffekte, Muster oder Bilder von Objekten, Tieren oder Menschen, die Ängste und Wahnvorstellungen wecken.

Der Betrug unseres Gehirns

Jeder hat einen blinden Fleck und zwar an jener Stelle, wo der Sehnerv das Auge verlässt. Damit unsere Optik nicht der eines Emmentaler Käses ähnelt, greift unser Gehirn stattdessen auf die Reize der umgebenden Regionen zurück und füllt das Bild so automatisch aus. Dieser Effekt wird auch als «filling in» bezeichnet.
Auch bei einem Gesichtsfeldausfall, einem Skotom, greift das Gehirn auf die Fähigkeit des «filling in» zurück. Während es sich beim blinden Fleck nur um einen kleinen Bereich handelt, können bei einem Skotom, je nach Ausmass, manchmal ganze Flächen nicht mehr gesehen werden – Gläser, Strassenlaternen, sogar Radfahrer verschwinden dann einfach komplett. «Menschen mit einem Zentralskotom sehen da einfach das, was logisch ist. Und das ist häufig die Erklärung dafür, dass man verschwommen sieht und Personen nicht erkennt», klärt Hüsler auf.

Als Folgeerkrankung der Altersbedingten Makuladegeneration als auch des Skotoms kann das Charles-Bonnet-Syndrom auftreten.

Wer hat’s erfunden, beziehungsweise entdeckt …

… das war der Schweizer Naturwissenschaftler und Philosoph Charles Bonnet im 18. Jahrhundert. Sein Grossvater erblindete nach einer Augenoperation und berichtete ihm fortan von lebhaften Halluzinationen. Bonnet schrieb über das, was sein Grossvater ihm erzählte und wurde so posthum zum Namensgeber des Syndroms. Dabei handelt es sich um eine neurologische Erkrankung. Sie tritt bei Menschen auf, die an einer Sehstörung erkrankt sind, deren Sehnerv verletzt ist oder die bereits erblindet sind. Ihnen kann allerdings keine psychische Erkrankung nachgewiesen werden. Dennoch berichten sie von Trugerscheinungen, die bis hin zu angsteinflössenden Halluzinationen reichen. In der Wissenschaft und Medizin geht man davon aus, dass sie durch Reizentzug entstehen: Das Sehzentrum ist noch aktiv, wird jedoch nicht mehr mit ausreichend Reizen und Informationen versorgt, weswegen das Gehirn eigene Bilder produziert, die einem dann als Halluzination erscheinen. Auch andere Sinnesorgane können ähnliche Phänomene, wie etwa Stimmen, Phantomschmerzen oder Geruchsillusionen hervorrufen.

Die Augen offenhalten, ist das eine …

… die Offenheit im Umgang mit anderen, ist aber mindestens genauso wichtig. Denn ein grosses Problem ist, das Betroffene sich häufig nicht getrauen, über ihre Wahrnehmungen zu sprechen. Die Angst davor ist gross. Daher fordert Hüsler: «Ich denke, dass man die Ärzte und Pfleger in den Spitälern und Heimen dafür sensibilisieren sollte, dass es das Charles-Bonnet-Syndrom gibt. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich denke, dass viele Ärzte noch nie von diesem Syndrom gehört haben, das also gar nicht kennen.“

Auch bei Demenztests ruft Hüsler zu mehr Sensibilität auf: «Wenn man vielleicht schon weiss, dass die Person an einer Sehschwäche leidet, dass man dann eben die nicht-visuellen Demenztests nimmt, die es ja schliesslich gibt.» Auch Angehörige können die Heimbewohner unterstützen, indem sie, im Falle einer nicht ganz nachvollziehbaren Diagnose gegebenenfalls weitere Meinungen einholen, Fachärzte zu Rate ziehen und vor allem für die betroffene Person da sind und offen mit ihnen über Diagnosen, Gefühle und Ängste sprechen.

Nicht weniger wichtig und absolute Pflicht sind mit zunehmendem Alter jedoch die jährlichen Untersuchungen beim Augenarzt: Dadurch können Krankheiten frühzeitig erkannt und Fehldiagnosen bestmöglich verhindert werden.

Samantha Happ

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